Alle reden im Versicherungsbetrieb von Digitalisierung und wie weit der Digitalisierungsgrad in verschiedenen Bereichen bereits fortgeschritten ist. Leider fehlt bisher der große Wurf einer integrierten Digitalisierungsstrategie bei fast allen Versicherungsunternehmen.
Im Versicherungsvertrieb wird Digitalisierung häufig als Online-Tarifrechner und personalisierte Abschlusslinks verstanden. Sprich der Kunde fällt über einen auf den Vermittler geschlüsselten Deeplink auf eine Landingpage oder noch schlechter auf einen Onlineantrag, der mit wenigen Klicks abgeschlossen, abgesandt und in die Dunkelverarbeitung übergeben werden kann.
Was im Versicherungsbetrieb nach Außen hin als Dunkelverarbeitung präsentiert wird, bedarf bei genauer Betrachtung noch vieler händischer Eingriffe, bis der Antrag tatsächlich policiert ist, das Beitragsinkasso angestoßen und controllt wurde, der Vermittler Kopien der Unterlagen und seine Courtage bekommt und der Neukunde innerhalb des Onboardings seine Customer Experience erfährt. Häufig wird nicht einmal die Combined Ratio, als Verhältnis von Aufwendungen für Versicherungsbetrieb und Versicherungsleistungen zu abgegrenzten Prämien, automatisch ermittelt. Auch erfolgt oft keine automatische Aufbereitung dieser und weiterer wichtiger Kennzahlen, die innerhalb eines Management-Cockpits automatisch den jeweiligen Entscheidern zur Verfügung gestellt werden könnten.
Zusätzlich erfolgt die Bestandsführung bis heute noch oft auf Systemen der 70er und 80er Jahre. Durch Fusionen aus der Vergangenheit zum Teil über mehrere veraltete Systeme parallel. Und keiner traut sich offenbar, dort etwas zu ändern.
Was in den Ausschließlichkeitsorganisationen noch ganz gut funktioniert, bewegt man sich dort wenigstens innerhalb des hauseigenen Universums, sieht im freien Vertrieb über Makler, Mehrfachagenten, produktakzessorische Vermittler und Annexvertriebe ganz anders aus.
Als ich bei einer Diskussionsrunde von Online-Abschlusstrecken über Abschlusslinks für den freien Vertrieb nachfragte, ob es sich bei einem Kundenabschluss um einen VVG-konformen Vorgang handele, wurde dies für das Versicherungsunternehmen sofort bejaht. Auf meine weitere Nachfrage, ob es sich denn auch für den Vermittler um einen Vorgang handele, der die Vorschriften des VVG bzw. der VersVermV erfüllt, herrschte Funkstille.
Meine weiteren Nachforschungen ergaben, dass es weniger als eine Handvoll Anbieter gibt, die es dem freien Vertrieb ermöglichen, automatisiert gesetzeskonform zu agieren. Sprich, dass der Kunde automatisiert die Erstinformation und die Datenschutzerklärung des Vermittlers bekommt, eine Gesprächsdokumentation erstellt wird, auf welchen Entscheidungswegen der Kunde gerade dieses Produkt ausgesucht hat, der Nachweis, dass alle nötigen Dokumente rechtzeitig übergeben wurden, erbracht werden und der Kunde automatisiert ein Willkommensschreiben des Vermittlers erhält in dem der Kunde begrüßt und seine Entscheidung für dies oder jenes Produkt nochmals bekräftigt wird. Wenn dann diese Dokumente noch über Schnittstellen in das Verwaltungsprogramm des Vermittlers überspielt werden könnten, wäre schon viel gewonnen.
Bemerkenswert ist zumindest, dass aktuell die größere Innovationskraft von den Maklerpools und Dienstleistern ausgeht. Hier gehört es bei immer mehr zum Standard, z.B. digitale Unterschriften zu ermöglichen, Vergleiche, Policen, Bestandsübertragungen und Maklerverträge über App-Lösungen machen zu können und auch die Schadenabwicklung so digital wie momentan möglich anzubieten.
Auch habe ich schon neue KI-gestützte Beratungstools und online abschließbare Versicherungslösungen gesehen, die sich an der jeweiligen täglich aktuellen Risikosituation des Kunden orientieren und die sich sehr spannend anhören. Entwickelt eben nicht von den alteingesessenen Konzernen, sondern von jungen innovativen Start-ups. Vielleicht gelingt mit solchen Tools der Wandel von Low-Interest- zu Lifestyle-Produkten als lebensphasenbegleitende Partner der Kunden.
Fakt ist, wer jetzt den Anschluss verliert, wird es in Zukunft schwer haben, sich weiterhin am Markt zu behaupten. Die Digitalisierung wird ein entscheidender Überlebensfaktor sein, um die Kostenquoten in den Aufbau- und Ablauforganisationen der Versicherungsunternehmen und der Vertriebe in Bereichen zu halten, die marktgängige Prämien im Verhältnis zu den weiter steigenden Ansprüchen der Kunde an Leistung und Service zu ermöglichen. Wer als Versicherer mit den eigenen Ressourcen nicht schnell genug ist, wird sich stärker in die Abhängigkeit von externen Anbietern und technischen Dienstleistern begeben müssen.
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